Vorstellung der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt im Radio

Manuskript einer Sendung im „Offenen Haus“ der Redaktion Alltag und Geschichte bei Radio Darmstadt am 29. Oktober 2007

[ Jingle Alltag und Geschichte ]

Redaktion Alltag und Geschichte bei Radio Darmstadt mit einer Sendung des „Offenen Hauses“. Am Mikrofon: Norbert Büchner, Katharina Mann und Christina Rautenstrauch.
Mit „Offenes Haus“ werden bei Radio Darmstadt die Sendeplätze bezeichnet, die auch Nicht-Vereinsmitgliedern offen stehen. Laut Redaktionsstatut sind die Redaktionen gehalten, einen Teil ihrer Sendezeit mit Beiträgen von Nicht-Radar-Mitgliedern zu bestreiten. Diese Selbstverpflichtung hat auch Eingang in die Sendelizenz gefunden, die durch die Hessische Landesmedienanstalt erteilt wurde. Nicht ohne Grund, denn im Prinzip sollen die Bürgerinnen- und Bürgerradios für alle da sein, sowohl zum Anhören als auch zum selber Senden.

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Radar e.V. heißt der Trägerverein des Darmstädter Lokalradios. Bis jetzt jedenfalls. – Ob auch weiterhin, das ist eine andere Frage, denn Anfang Oktober wurde bekannt, dass die weitere Lizenzierung des Radar e.V. als Träger für das Darmstädter nichtkommerzielle Lokalradio gefährdet ist.

Als Gründe werden genannt: Verschiedene Beschwerden über das Radio, die der Landesmedienanstalt zugegangen sind. Und ein konkurrierender Lizenzantrag, gestellt von einem Verein namens „Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt e.V.“.

Die Meldung, dass die Lizenz von Radar gefährdet ist, hat sowohl unter den Sendenden bei Radio Darmstadt als auch bei den Hörerinnen und Hörern einige Unruhe hervorgerufen. Zeitungsüberschriften wie „Radio Darmstadt bangt um Lizenz“ in der Frankfurter Rundschau oder „Kann Radio Darmstadt weitersenden?“ im Darmstädter Echo erwecken leicht den Anschein, als ob die Existenz eines nichtkommerziellen Lokalradios in Darmstadt generell gefährdet sei. Wer etwas genauer liest, stellt aber fest, dass es darum gar nicht geht. Eher schon geht es um die Frage „Dudelfunk oder Wortbeiträge“ wie die FAZ in ihrer Rhein-Main-Zeitung titelt.

Oder, um es ganz sachlich zu formulieren: Es geht um die Frage, welcher Verein in Zukunft das Darmstädter Lokalradio betreiben soll.

Wir – Norbert Büchner, Katharina Mann und Christina Rautenstrauch – sind die gewählten Vorstandsmitglieder des Vereins Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt, also des Vereins, der den konkurrierenden Lizenzantrag gestellt hat.

Wir wollen die folgende Stunde nutzen, unseren Verein vorzustellen. Dazu gehört für uns auch, auf die Hintergründe einzugehen: Wie sind die nichtkommerziellen Lokalradios eigentlich organisiert und strukturiert, wie werden sie lizenziert? Und welche Entwicklungen in der Medienlandschaft im Allgemeinen wie bei Radio Darmstadt – Radar – im Besonderen haben zur Gründung der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt geführt?
Vielen Dank an dieser Stelle an die Redaktion Alltag und Geschichte, die uns die Sendezeit zur Verfügung stellt.

Die Satzung des Radar e.V. sieht vor, dass der Verein ein nichtkommerzielles Lokalradio in Darmstadt nicht nur selbst fördern, errichten und betreiben will, sondern dass auch andere freie Medien in Darmstadt und der näheren Umgebung gefördert werden sollen. Gefördert werden sollen auch Diskussionsveranstaltungen oder die Herausgabe von Informationsschriften zur Idee des freien Lokalrundfunks und über die Möglichkeiten für jede / jeden einzelnen, daran mitzuwirken.

Wir sind uns bewusst, dass wir in der Diskussion um die Zukunft des Darmstädter Lokalradios Partei sind und dass wir auch so wahrgenommen werden.
Natürlich sind wir aber auch überzeugt, dass wir die besseren Konzepte und auch die Kompetenz haben, um ein nichtkommerzielles Lokalradio zu organisieren und zu betreiben. Sonst hätten wir ja keinen konkurrierenden Lizenzantrag gestellt …

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Worum geht es überhaupt? Was ist „nichtkommerzielles Lokalradio“?

Nichtkommerzielles Lokalradio ist nicht kommerziell und lokal.

Lokal heißt: Die Sender werden für ein kleines Verbreitungsgebiet lizenziert, die Frequenzen werden so koordiniert, dass meistens nur eine Stadt und ihr näheres Umland den Sender empfangen können. Radio Darmstadt zum Beispiel ist in Darmstadt gut zu empfangen und – mit wenigen Einschränkungen – auch in seinen Stadtteilen Eberstadt, Kranichstein, Arheilgen und Wixhausen. Im Landkreis ist Radio Darmstadt nur in den topografisch günstig gelegenen Orten nördlich und westlich von Darmstadt zu empfangen, nicht aber im Ostkreis, den Gemeinden des vorderen Odenwalds oder an der Bergstraße.
Diesem kleinen Sendegebiet entsprechend soll über lokale Ereignisse bevorzugt berichtet werden. Außerdem fällt den nichtkommerziellen Lokalradios die Aufgabe der sogenannten „publizistischen Ergänzung“ zu. Das meint, Meldungen zu berichten, Ansichten und Anliegen zu thematisieren, die in anderen Medien nicht oder nicht genügend vorkommen.

Nicht kommerziell heißt: Die Sender werden betrieben, ohne dass daraus Gewinn erzielt wird, es gibt keine Werbung und kein Sponsoring im gesendeten Programm.

Nichtkommerzielle Lokalradios sind nicht verpflichtet, für die Bevölkerung des Sendegebiets die Grundversorgung an Information sicherzustellen. Dafür sind in erster Linie die öffentlich-rechtlichen Sender zuständig mit ihren bundesweit, landesweit oder regional ausgestrahlten Programmen.

Und die einzelnen Sendungen in den nichtkommerziellen Lokalradios müssen auch nicht „ausgewogen“ oder „objektiv“ berichten. „Ausgewogenheit“ stellt sich bei den nichtkommerziellen Lokalradios her über die Pluralität der Sendenden.

Diese Pluralität ist eigentlich der Normalfall in der bundesdeutschen Medienlandschaft. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass Zeitungen wirklich neutral berichten, dass sie intern versuchen sollten, Ausgewogenheit herzustellen – sondern es ist ganz normal, dass die Zeitungen als privatwirtschaftliche Unternehmungen jeweils eigene Interessen verfolgen, dass die FAZ anders berichtet als die Frankfurter Rundschau oder die Süddeutsche Zeitung, dass die WELT anders berichtet als die taz. Ausgewogenheit ergibt sich durch die Möglichkeit, viele verschiedene Zeitungen zu lesen, so etwas wie „Objektivität“ erhalten die geübte Leserin und der geübte Leser, wenn sie „ihre“ Zeitung „gegen den Strich“ lesen und einfach die spezifischen Interessenlagen der jeweiligen Zeitung wie durch einen Filter wieder „herauslesen“.

Etwas anders sieht es beim Rundfunk aus, Radio und Fernsehen. Hier sind die Gesetzgeber in den Bundesländern davon ausgegangen, dass die Frequenzen zur Übertragung von Radio- und Fernsehprogrammen ein knappes Gut sind, so dass es immer nur relativ wenige Sender gibt. Deswegen legt der Rundfunkstaatsvertrag sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Sender auf eine ausgewogene Berichterstattung fest.
Diese Ausgewogenheit bezieht sich allerdings immer auf das gesamte Programm. Bei den nichtkommerziellen Lokalradios ergibt sich die Ausgewogenheit durch die breite Basis unterschiedlicher Menschen und gesellschaftlicher Gruppen, die dort Radioprogramm gestalten.

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In Hessen sind nichtkommerzielle Lokalradios seit Mitte der 1990er-Jahre im Privatrundfunkgesetz HPRG vorgesehen. Radio Darmstadt ging im Februar 1997 als erstes nichtkommerzielles Lokalradio in Hessen dauerhaft auf Sendung. Die übrigen hessischen nichtkommerziellen Lokalradios folgten wenig später.

Nach Hessischem Privatrundfunkgesetz, Paragraf 40, kann nichtkommerzieller lokaler Hörfunk „im Interesse der Meinungsvielfalt“ zugelassen werden. Als Zulassungsnehmerinnen kommen sowohl juristische Personen in Frage als auch nicht-rechtsfähige Vereinigungen des Privatrechts. Ihr Zweck darf allerdings nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sein. Dies ist am einfachsten zu belegen mit einer Bescheinigung der Gemeinnützigkeit durch das örtliche Finanzamt. Damit engt sich die Auswahl der möglichen Rechtsformen ganz pragmatisch ein auf GmbHs, Genossenschaften und Vereine, die alle als gemeinnützig anerkannt werden können, wenn sie in ihren Satzungen entsprechende Regelungen verankert haben.

Vor allem müssen die Bewerberinnen um eine Lizenz rechtlich die Gewähr dafür bieten, dass sie unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften Einfluss auf die Programmgestaltung einräumen – insbesondere durch die Zubilligung von Sendezeiten für selbstgestaltete Programmbeiträge.
So steht es im Gesetz. Gemeint ist damit das, was in den Kreisen der nichtkommerziellen Lokalradios normalerweise mit dem Begriff der „Zugangsoffenheit“ beschrieben wird.

Aus dieser Formulierung im Privatrundfunkgesetz ergibt sich, dass die Trägervereine der nichtkommerziellen Lokalradios nicht einfach nur für sich da sind. Sie haben eine Aufgabe, die über die Versorgung ihrer eigenen Vereinsmitglieder hinausgeht – in dem Fall: Versorgung mit Zugang zum Radiosender. Sie müssen möglichst vielen Menschen den Zugang zum Radio ermöglichen und zwar ganz unabhängig davon, ob die Menschen, die den Sender nutzen wollen, Mitglied im Trägerverein sind oder nicht.

Überspitzt könnte man formulieren, dass die Trägervereine der nichtkommerziellen Lokalradios sozusagen die „Dienstleister“ sind, die die technische Infrastruktur eines Radiosenders betreiben und unterhalten – zum Wohle der Allgemeinheit, damit nämlich alle, die wollen, kommen und ihre Radiobeiträge gestalten können.

Überspitzte Formulierungen bedeuten immer auch eine Verkürzung. Die Aufgabe der Trägervereine für nichtkommerzielle Lokalradios ist aber komplexer: Sie müssen nach dem Gesetzestext die Gewähr dafür bieten, dass unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte den Zugang zum Lokalradio haben. Das heißt, sie dürfen nicht dabei stehen bleiben, dass grundsätzlich für unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte die Möglichkeit besteht, ihre eigenen Radiobeiträge zu senden, sondern sie müssen dafür sorgen, dass es auch geschieht, dass tatsächlich das gesendete Programm von vielen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen gestaltet wird. Wie sie das erreichen, durch welche Gremien oder Regelungen, das ist ihre Sache.
Hier unterscheiden sich die Trägervereine der hessischen nichtkommerziellen Lokalradios voneinander. Und hier liegen auch die hauptsächlichen Unterschiede zwischen den Vereinen Radar e.V. und Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt e.V., die sich beide um die Lizenz für das Darmstädter Lokalradio bewerben.

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Radio Darmstadt steht möglicherweise vor tiefgreifenden Veränderungen. Aufgrund von Beschwerden, die bei der Landesmedienanstalt eingegangen sind, und eines konkurrierenden Lizenzantrags erwägt die Landesmedienanstalt, die Frequenz in Darmstadt neu auszuschreiben.
Die Entscheidung, ob Radar e.V. – die derzeitige Lizenznehmerin – einen Verlängerungsantrag stellen darf oder ob die Frequenz neu ausgeschrieben werden soll, will die Versammlung der LPR Hessen am Montag, den 29. Oktober 2007, treffen – dem Tag der Ursprungsausstrahlung dieser Sendung bei Radio Darmstadt.

Ganz unabhängig davon, wie die Entscheidung der Landesmedienanstalt aussieht, können wir davon ausgehen, dass es ein nichtkommerzielles Lokalradio in Darmstadt weiterhin geben wird. Es war an keiner Stelle die Rede davon, den „Standort Darmstadt“ aufzugeben.
Es geht also lediglich um die Frage, in welcher Trägerschaft das Radio weitergeführt werden soll. Und über diese Frage nachzudenken, dafür gibt es unserer Ansicht nach gute Gründe.

Wir sind Katharina Mann, Christina Rautenstrauch und Norbert Büchner, der gewählte Vorstand der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt e.V. Im bisherigen Verlauf dieser Sendung haben wir versucht herauszuarbeiten, was die gesetzlichen und organisatorischen Voraussetzungen für nichtkommerzielles Lokalradio in Hessen sind, was also Bewerberinnen um eine Lizenz mitbringen müssen.
Demnach bleibt festzuhalten, dass die Zugangsoffenheit auf jeden Fall zu gewährleisten ist, egal welcher Verein letztendlich den Zuschlag erhält. Das heißt, wer in Darmstadt als Privatperson oder Initiative etwas beizutragen hat zur lokalen Berichterstattung oder wer Radiobeiträge gestalten will, die unter dem Begriff der „publizistischen Ergänzung“ zu fassen sind, der oder die wird beim Darmstädter Lokalradio Sendeplatz dafür erhalten. Unterschiedlich sind lediglich die Konzepte, wie die beiden Vereine versuchen, in ihrem Programm eine möglichst breite Basis der Menschen und gesellschaftlichen Gruppen im Sendegebiet zu Wort kommen zu lassen.

Der Verein Radar e.V. hatte denkbar gute Chancen, in Darmstadt eine breite Basis an Unterstützerinnen und Unterstützern zu gewinnen, mehr und mehr Menschen einzubinden, die ihre eigenen Radiosendungen gestalten, und damit auch mehr und mehr Hörerinnen und Hörer zu gewinnen. Der Verein war von vornherein auf eine breite Basis angelegt. Natürlich gab es unterschiedliche Ansichten darüber, wie ein Lokalradio am besten zu betreiben ist. Ausgeprägt war der Dissens zwischen Unterhaltungsredaktion und sogenanntem „lokalem Themenradio“, der sich vor allem an der Frage auskristallisierte: „Fahren oder gefahren werden?“ Also: haben die Sendungsmachenden eine Technikerin oder einen Techniker, die oder der für sie die Sendungstechnik bedient, oder gehen sie als „Selbstfahrerin“ beziehungsweise „Selbstfahrer“ auf Sendung.
Im täglichen Sendebetrieb und im Lauf der Jahre wurde diese Frage durchaus konstruktiv beantwortet mit „lokalem Themenradio im Selbstfahrermodus“.

Radio Darmstadt und mit ihm sein Trägerverein Radar entwickelten sich, die Bekanntheit und die Zahl der Hörerinnen und Hörer stieg an, das Ganze war durchaus eine Erfolgsgeschichte. Im Sommer 2004 erreichte Radio Darmstadt bei einer repräsentativen Umfrage einen sogenannten „weitesten Hörerkreis“ von über 14 Prozent.
Zur Erklärung: Mit „weitestem Hörerkreis“ werden die Menschen bezeichnet, die im Verlauf von zwei Wochen mindestens einmal den Sender eingeschaltet haben. Die Zahl wird bezogen auf die Zahl derer, die das Programm empfangen können. Heißt also: Im Sommer 2004 haben über 14 Prozent der Menschen, die Radio Darmstadt empfangen können, das Programm auch gehört.

Dieser Wert ist für ein nichtkommerzielles Lokalradio ziemlich gut. Im Jahr 2000 hatte Radio Darmstadt noch einen weitesten Hörerkreis von etwa sieben Prozent.

Einen etwas größeren Umbruch etwa um das Jahr 2000 herum wollen wir noch erwähnen: In diesen Jahren verließen viele Sendungsmachende aus der Anfangszeit gerade aus dem Spektrum des sogenannten „lokalen Themenradios“ den Sender. Mehr als wettgemacht wurde dieser Verlust durch die vielen muttersprachlich nicht-deutschen Sendungen, die zu der Zeit neu zum Sender dazu kamen.

Aus der Perspektive von heute aus betrachtet stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung wirklich nur „normaler Fluktuation“ zuzurechnen ist oder ob dem Abwandern von Themenradiosendungen nicht schon damals mehr hätte entgegengesetzt werden müssen.
Eine Antwort auf diese Frage wird im Moment immer wertend ausfallen. Erst recht wird sie als eine wertende Antwort interpretiert werden. Vielleicht wird die weitere Entwicklung die Beurteilung erleichtern.

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Seit Sommer 2004 hat es keine Erhebung mehr gegeben über das Programm oder die Hörerinnen- und Hörerschaft von Radio Darmstadt. Wir gehen aber davon aus, dass der weiteste Hörerkreis von Radio Darmstadt heute unter 14 Prozent liegt.
Wir gehen davon aus, dass seit September letzten Jahres durch interne Umstrukturierungen die Einschaltquote des Radios gehörig abgesackt ist.

Die Umstrukturierungen führten zur Auflösung der Redaktion Radiowecker im Herbst 2006, zur Auflösung der Frauenredaktion „Frida“ im April 2007 und zur Auflösung der Kinderredaktion im September 2007. Die Redaktion „Gegen das Vergessen“ hat sich zwar noch nicht aufgelöst, aber ihren Sendeplatz für November und Dezember erst einmal abgegeben.

Statt die Studiotechnik zu warten, bauen verspielte Jungs ihre audiotechnischen Traumburgen und erfreuen die verbliebenen Zuhörerinnen und Zuhörer mit Brummschleifen und verzerrt komprimiertem Matschsound.

Dabei wäre es mehr als nötig gewesen, sich darum zu kümmern, wie das nichtkommerzielle Lokalradio in Darmstadt vorangebracht werden kann: Schließlich stand eine Novellierung des Hessischen Privatrundfunkgesetzes auf dem Programm und die Zukunft aller hessischen nichtkommerziellen Lokalradios schien durchaus gefährdet. Dass nachfolgend die Verlängerung der Lizenz anstehen sollte – also unsere derzeitige Situation – war ebenfalls bekannt.

Unabhängig davon, welcher Verein künftig als Träger für das nichtkommerzielle Lokalradio in Darmstadt lizenziert wird, dieser Verein wird außer dem Organisieren des Radiobetriebs eine weitere Aufgabe haben: Die Konflikte zu lösen, die der derzeitigen Situation zugrunde liegen, und die Darmstädter Radioszene zu befrieden.

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An dieser Stelle ein kurzer Abriss möglicher Szenarien, die sich aus der Entscheidung „Verlängerung der Lizenz für Radar oder Neuausschreibung“ ergeben.

Wenn die Versammlung der Hessischen Landesmedienanstalt entscheidet, dass Radar einen Verlängerungsantrag stellen darf, bleibt nach außen hin alles beim Alten. Wir können aber damit rechnen, dass der Verein einer sehr viel genaueren Kontrolle unterworfen sein wird, insbesondere was die Bedingungen des offenen Zugangs zum Radio angeht.

Wenn die Versammlung der Hessischen Landesmedienanstalt entscheidet, dass die Frequenz neu ausgeschrieben wird, dann wird es sicherlich mindestens zwei Lizenzanträge geben: Einen von Radar, einen von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt. Beide Antragsteller werden die formalen Voraussetzungen erfüllen, also wird die Landesmedienanstalt auf eine Einigung zwischen den Antragstellern hinarbeiten. Erst wenn eine Einigung nicht zustande kommt, trifft die Landesmedienanstalt eine Entscheidung zwischen den Bewerbern.

Das steht alles im Hessischen Privatrundfunkgesetz, sogar die Kriterien, nach denen die Auswahl getroffen wird.

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Ein Rauschen geht durch den Blätterwald: Die Lizenz des Radar e.V., das nichtkommerzielle Lokalradio in Darmstadt zu betreiben, wird möglicherweise nicht verlängert.

Am Montag, 29. Oktober 2007, dem Tag der Ursprungsausstrahlung dieser Sendung bei Radio Darmstadt, will die Versammlung der Hessischen Landesmedienanstalt entscheiden, ob Radar einen Verlängerungsantrag stellen darf oder ob die Frequenz neu ausgeschrieben wird.
Bisher wird dieses Szenario in Darmstadt so kommuniziert, als ob die Existenz eines nichtkommerziellen Lokalradios generell auf dem Spiel stünde. Tatsächlich bedeutet eine mögliche Neuausschreibung eher, dass ein Lokalradio in Darmstadt gewollt ist. Die Frage ist, in welcher Trägerschaft das Darmstädter Lokalradio künftig betrieben werden soll.
Am Mikrofon sind Norbert Büchner, Christina Rautenstrauch und Katharina Mann. Wir sind der Vorstand der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt und haben uns in Konkurrenz zu Radar um die Lizenz für das Darmstädter nichtkommerzielle Lokalradio beworben.

Wir alle waren mehr oder weniger lange bei Radio Darmstadt – Radar – aktiv.
Wir alle waren während unserer aktiven Zeit bei Radio Darmstadt beständig darum bemüht, den Sender voranzubringen, so dass Radio Darmstadt gedeihen und sich entwickeln konnte.

Seit Frühjahr 2006 hat sich bei Radar ein Wandel vollzogen, der uns sehr bedenklich gestimmt hat und nach wie vor bedenklich stimmt. Wir müssen darauf nicht im Einzelnen eingehen, denn diese Entwicklung ist an anderer Stelle ausführlich dokumentiert. Unsere Einschätzung ist, dass der Verein Radar e.V. nicht mehr entwicklungsfähig genug ist, um die Herausforderungen zu meistern, die in den kommenden Jahren an nichtkommerzielle Lokalradios gestellt werden.

Die Entscheidung der Landesmedienanstalt, aufgrund von Beschwerden und eines konkurrierenden Lizenzantrags über eine Verlängerung erst noch einmal nachdenken zu wollen, ist für Hessen neu. Im bundesdeutschen oder sogar europäischen Zusammenhang betrachtet ist der Vorgang aber gar nicht so ungewöhnlich.

Blicken wir doch ein wenig über den Tellerrand. Es gibt interessante Beispiele, die die derzeitige Darmstädter Situation angemessen illustrieren können.

Wiesbaden – Mainz: In Wiesbaden haben sich zwei Vereine um die Zulassung für das nichtkommerzielle Lokalradio beworben, Radio Rheinwelle aus Wiesbaden und Radio Quer aus Mainz. Faktisch ist Radio Rheinwelle die Lizenznehmerin, Radio Quer hat ein „Fenster“ bei Radio Rheinwelle und kann unbehelligt seiner Radioarbeit nachgehen. Formal sind die Verhandlungen zwischen den beiden Konkurrenten „stecken geblieben“, sie werden jetzt wieder aufgenommen – im Zuge der Verlängerung der Lizenzen der anderen hessischen Lokalradios.

Bundesweit: Medien sind Ländersache. Deswegen sind die gesetzlichen Regelungen zur Zulassung von nichtkommerziellen Lokalradios in jedem Bundesland ein bisschen anders. Es gibt allerdings eine länderübergreifende Vernetzung: Auf Seite der nichtkommerziellen und Freien Radios den Bundesverband Freier Radios BFR und auf Seite der lizenzierenden Behörden und der Medienaufsicht die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten ALM sowie ihre Direktorenkonferenz DLM.

Bereits Ende 2005 kursierte in der Szene der nichtkommerziellen und Freien Radios ein Text der DLM über Perspektiven von Bürgermedien. Verfasser war Christian Schurig, der Direktor der sachsen-anhaltinischen Landesmedienanstalt und zu diesem Zeitpunkt der Beauftragte der DLM für Bürgermedien. Der Titel: „Zur Konsolidierung der Bürgermedien in Deutschland – Gemeinsame Herausforderungen von Bürgermedien und Landesmedienanstalten“.

Christian Schurig vertritt darin die Auffassung, dass Konsolidierung von Bürgermedien nicht nur die Absicherung des Bestehenden meint, sondern dass auch die Legitimation der Bürgermedien erneuert werden muss. Dazu müssten die Bürgermedien – unterstützt von den Landesmedienanstalten – mehr Lobbyarbeit betreiben. Sie müssten ihre Programme und ihr Programmprofil entwickeln und trotz der begrenzten Ressourcen unter den Bedingungen von Ehrenamtlichkeit und Freiwilligkeit ihre Produktion professionalisieren. Christian Schurig formuliert ausdrücklich die Forderung an die Bürgermedien „… sich den publizistischen Zwängen des jeweiligen Mediums zu stellen.“ Und weiter: „Die Bürgermedien müssen viel konsequenter als bisher programmliche Alleinstellungsmerkmale erarbeiten, die sie positiv von öffentlich-rechtlichen wie auch privat-kommerziellen Angeboten abheben: Konsequente Lokalität, Authentizität, Direktheit / Betroffenheit, Aktualität, Stärkung des dokumentarischen wie des experimentellen Charakters, kulturelle Offenheit und Vielfalt, Zielgruppenorientierung (auch) jenseits des Interview von Radio Corax, Halle, mit einer Aktivistin von „Klipp und Klang“, der Radioschule für freie Medien in Zürich Anfang Oktober erfahren wir, dass die Lokalradios in der Schweiz gerade vor einer Neulizenzierung stehen. Neue Anforderungen an die Freien Radios in der Schweiz ergeben sich dabei vor allem in den Bereichen Qualitätsmanagement sowie Ausbildung der Sendungsmachenden.

Naumburg an der Saale: Der Verein Freies Radio Naumburg stellt im Sommer 2006 seine Zahlungsunfähigkeit fest. Möglicherweise war der eingestellte Geschäftsführer vom Trägerverein zu wenig kontrolliert worden. In der Folge stellt das Radio Ende September seine Sendetätigkeit ein. In einem Lizenzwiderrufsverfahren wird dem Radio im Anschluss die Lizenz entzogen.
Einige Menschen aus dem Radio gründen einen neuen Verein – Radio Burgenland e.V. – und versuchen, wieder eine Lizenz für ein nichtkommerzielles Lokalradio in Naumburg zu gewinnen. Bislang ohne Erfolg.

Hannover: Im Herbst 2006 lässt die niedersächsische Landesmedienanstalt die Reichweiten der Bürgerfunkmedien in repräsentativen Umfragen durch das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid ermitteln. Radio Flora Hannover erzielt einen „weitesten Hörerkreis“ von nur 3,8 Prozent. Der sogenannte „weiteste Hörerkreis“ bezeichnet den Anteil der Menschen, die im Lauf von zwei Wochen das Programm eingeschaltet haben, bezogen auf die Zahl der Menschen, die das Programm technisch empfangen können.
Das fand die zuständige Landesmedienanstalt doch etwas sehr wenig. – Zum Vergleich: Radio Aktiv, Hameln, erreichte im gleichen Untersuchungszeitraum einen weitesten Hörerkreis von fast 37 Prozent.

Im Zuge der Verlängerung der Lizenzen für die niedersächsischen Bürgermedien entschied die Landesmedienanstalt im Frühjahr 2007, die Lizenz für Flora nicht zu verlängern, sondern die Frequenz lieber neu auszuschreiben.
Radio Flora ist enttäuscht, dass ihre Anstrengungen zur Programmverbesserung seit dem Bekanntwerden der geringen Reichweite so wenig gewürdigt werden. Die niedersächsische Landesmedienanstalt hingegen erklärte, dass sie in den angekündigten Programmreformen des Senders zwar einen richtigen Ansatz sehe, um die offensichtlichen Programmdefizite auszugleichen, dass sie aber erhebliche Zweifel habe, ob die angekündigten Maßnahmen in den bestehenden Organisationsformen des Senders erfolgreich umgesetzt werden könnten.

Das niedersächsische Mediengesetz sieht sehr lange Fristen für die Neuausschreibung von Frequenzen vor. Die derzeitige Lizenz von Radio Flora gilt noch bis Ende März 2009. Bis zum 17. Dezember 2007 kann sich Flora erneut um die Lizenz bewerben, allerdings muss Flora damit rechnen, sich gegen Mitbewerber durchsetzen zu müssen.

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Die hessische Landesmedienanstalt entscheidet am 29. Oktober 2007, dem Tag der Ursprungsausstrahlung dieser Sendung bei Radio Darmstadt, ob Radar e.V. einen Verlängerungsantrag stellen darf für die Trägerschaft des Darmstädter nichtkommerziellen Lokalradios oder ob die Frequenz neu ausgeschrieben wird.

Sollte die Frequenz neu ausgeschrieben werden, ergibt sich die Situation des direkten Wettbewerbs zwischen zwei Vereinen: Radar e.V. und Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt e.V.

Derzeit hat der Verein Radar e.V. massive Schwierigkeiten, den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus der Trägerschaft für ein nichtkommerzielles Lokalradio ergeben, insbesondere was die Gewährleistung der Zugangsoffenheit angeht. Grundsätzlich kann zwar jeder und jede mitmachen und Radar ist auch stolz auf die Vielfalt der Sendungen bei Radio Darmstadt, zum Beispiel die vielen muttersprachlichen Sendungen. Tatsächlich ist der Zugang aber nur bedingt gewährleistet. Einmal wurden im Lauf der letzten Monate fünf Hausverbote ausgesprochen.
Auf der anderen Seite wird vielen Interessierten und Willigen der Zugang faktisch verwehrt: Nicht funktionierende Studiotechnik und ungenügende Vermittlung der Voraussetzungen des nichtkommerziellen Lokalradios machen vor allem denen zu schaffen, die inhaltlich anspruchsvolle Sendungen gestalten wollen. Übrig bleiben die Sendungen, die weniger arbeitsintensiv sind, im Extremfall: Das Abspielen von Musik ohne weitere Moderation.

Die Kinderredaktion und die Ausbildung von Praktikantinnen und Praktikanten wurden aufgegeben, Medienkompetenzprojekte werden von Radar nicht mehr angeboten, externe Medienkompetenzprojekte werden massiv behindert.

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Eine Entscheidung zwischen den beiden konkurrierenden Vereinen kann von verschiedenen Überlegungen geleitet werden.

Man könnte bei der Entscheidung davon ausgehen, dass die Schwierigkeiten, die bei Radar derzeit auftreten, vorübergehender Natur sind, dass der Verein mit seiner breiten Basis trotzdem optimal Gewähr bietet für eine möglichst große Bandbreite an gesellschaftlichen Gruppen und Interessen, die in den Sendungen repräsentiert werden und dass man deswegen dem Verein Radar e.V. noch einmal eine Chance geben sollte.

Man kann aber auch zu der Einschätzung gelangen, dass bei Radar e.V. die Kräfte nicht in Sicht sind, die den Verein wieder fit machen könnten für die Herausforderungen der Zukunft.

Der Verein Radar e.V. wurde vor mehr als zwölf Jahren als ein basisdemokratischer Verein gegründet. Basisdemokratische Konzepte gehen aus von einer größtmöglichen Gleichheit – und auch Gleichartigkeit – der Beteiligten. Jeder und jede soll über alles und jedes mitreden und mitbestimmen können. Dabei gerät oftmals etwas aus dem Blick, dass möglicherweise gar nicht jeder und jede über alles nachdenken und mitbestimmen will. Gerade unter den Bedingungen des ehrenamtlichen Engagements – wenn im Leben ein paar andere Dinge auch noch wichtig sind – wollen viele Menschen lieber, dass die wichtigsten Dinge einfach funktionieren.

Vor allem funktionieren basisdemokratische Konzepte nur, wenn die Kommunikation funktioniert, wenn Unterschiedlichkeiten offen ausgetragen werden, wenn konstruktiv gestritten wird.
Wenn die Mehrheit der Beteiligten Streit von vorneherein und per se als etwas Negatives und Destruktives ansieht, wird tendenziell versucht, Streit zu vermeiden.
Wenn nicht mehr gestritten wird, geht die Demokratie verloren. Übrig bleibt nur noch die Basis.

Bei einem Fußballverein stellt niemand in Frage, dass die Vereinsführung dafür sorgen soll, dass der Verein aufsteigt – also dass die Spielerinnen oder Spieler erfolgreich spielen können. Warum ist es so schwierig zu begreifen, dass ein Trägerverein für ein Lokalradio die Aufgabe hat, dafür zu sorgen, dass die Sendenden gute Sendungen machen können?

Deswegen haben wir in der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt uns entschieden für ein Vereinskonstrukt, in dem zwischen ordentlichen Mitgliedern und Fördermitgliedern unterschieden wird. So müssen sich nur noch die in die Niederungen des Streits über den besten Weg begeben, die darüber wirklich streiten wollen. Die anderen können einfach so das örtliche Lokalradio fördern und gegebenenfalls ihre Zeit und Kraft dafür einsetzen, gute Sendungen zu machen.

Man kann über diese unterschiedlichen Konzepte und Herangehensweisen trefflich unterschiedlicher Meinung sein. Wir denken, eine offene und öffentlich geführte Diskussion und Auseinandersetzung darüber ist angemessen und auch vonnöten.

Die pauschale Unterstellung, dass der Verein Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt ein Zusammenschluss von Enttäuschten – Frustrierten – sei, die jetzt mit Schmutz um sich würfen, ist wenig hilfreich und schadet letztendlich dem Ansehen des Darmstädter Lokalradios: Einen Verein zu gründen, sich um die ganzen formalen Voraussetzungen wie Gemeinnützigkeit und Ähnliches zu kümmern und schließlich einen Lizenzantrag zu stellen, zeigt eher Engagement als Enttäuschung. Von einem ehemaligen Mitstreiter bei Radio Darmstadt wurden wir sinngemäß gefragt, dass wir doch hoffentlich für die Sache des Lokalradios nicht verloren seien. Dieser Mensch hat begriffen, worum es geht.

[ Jingle Alltag und Geschichte ]

Im Offenen Haus der Redaktion Alltag und Geschichte bei Radio Darmstadt heute die Vorstellung des Vereins Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt e.V. Am Mikrofon waren Katharina Mann, Christina Rautenstrauch und Norbert Büchner. Wir hoffen, mit dieser Sendung einen Beitrag geleistet zu haben zur offenen und sachlichen Diskussion über die Zukunft des Darmstädter Lokalradios.

Vielen Dank an die Redaktion Alltag und Geschichte, dass sie uns den Sendeplatz zur Verfügung gestellt hat.

Kategorie: Textwerkstatt | veröffentlicht am 29. 10. 2007